Zwischen den riesigen Gebäuden mit ihren verspiegelten Glasfronten fühlte ich mich anfänglich doch etwas klein und verloren. Doch als ich die erste Halle betrat, um mich der Herausforderung „Buchmesse“ zu stellen, war jegliche Unsicherheit wie weggeflogen und der nächste Gedanke, der mich den ganzen Tag über begleiten sollte, war folgender:
„Ich bin tot und im Paradies …“
In Halle 3 stolperte ich mit offenem Mund an den ersten Büchern vorbei, kam aber keine paar Schritte weit, bevor meine Aufmerksamkeit auf einen Stand mit bunten Ausmalbüchern und Tablets gelenkt wurde. Kaum eine halbe Minute später schwenkte ich begeistert ein iPad über ein kindlich ausgemaltes Bild von Rainbow Dash und schaute zu, wie das zuvor rosa angemalte Pony von Wolke zu Wolke hüpfte. Gleichzeitig erläuterte mir ein freundlicher Herr von DEVAR BOOKS, wie ich mit diesen Augmented Reality-Büchern noch spielend einfach das russische Alphabet lernen könne. Hab ich zwar nicht, aber glauben konnte ich ihm das sofort. Die animierten Figuren, die lautstark Wörter mit den entsprechenden Buchstaben vor sich hinbrabbelten und auf meinen Befehl hin über das durch die Kamera abgebildete Bücherregal schlurften, waren dafür doch zu niedlich und prägten sich gut ins Gedächtnis ein.
Der Vortrag einer Self-Publisherin lief bereits auf Hochtouren, also wuselte ich an der Bühne vorbei direkt in die Mitte der Halle, wo sich die Urgesteine der Verlage aufgebaut hatten. Ravensburger, Bastei Lübbe und Random House waren nur einige der bekannten Größen, die ihre Neuheiten und Bestseller präsentierten. Die Masse an Menschen, die sich zwischen den Regalen dieser Anbieter tummelte, erinnerte mich an diese seltsame Spinnenart, die vor einigen Jahren in Deutschland aufgetaucht ist und die sich zu Kugeln aus Körpern zusammenfanden, um provokant zu wippen, wenn sich Fressfeinde näherten. Da ich Spinnen lieber aus dem Weg gehe, mich nicht als Fressfeind einem eventuellen Angriff ausliefern wollte und eh einen Termin bei einem ganz besonderen Verlag hatte, ging ich lieber ohne Aufsehen zu erregen an der wogenden Leiberwelle vorbei, direkt zu Stand F44.
Papierverzierer Verlag – Phantastik im phantastischen Gewand
Dort angekommen wurde ich nicht nur sofort von Isabelle Schuster den neusten Versuchungen im Bereich Fantasy gegenübergestellt, sondern auch mit zwei Exemplaren für die eigene Sammlung versorgt, deren Rezensionen ihr dann bald auf Zauberwelten-Online lesen könnt. Außerdem kam ich in den Genuss, direkt mit dem Verleger Schemajah Schuppmann zu plaudern, um ihm die Geheimnisse der Verlagsarbeit aus den Taschen zu zaubern. Im Gespräch erzählte er nicht nur, dass er selbst als Autor seine ganz eigenen Erfahrungen mit Verlagen machen durfte, sondern auch, dass er dadurch zur Idee eines eigenen Verlages geführt wurde, sodass er 2013 den Papierverzierer Verlag gründete. Besonders der Bereich Fantastik hatte es ihm dabei angetan und so wurde auch schnell der Name gefunden. Als Papierverzierer bezeichnet er aber nicht nur die Künstler und Illustratoren, die sich um die liebevoll gestalteten Cover kümmern, sondern auch die Autoren selbst, die mit ihren Wörtern und Geschichten weiße Blätter mit detaillierten Welten und Charakteren verzieren. Abgerundet wird die Bedeutung des Namens auch durch entsprechende Deko-Elemente, zum Beispiel auf dem vorderen Schnitt eines Buches (sogenannte Schnittverzierungen), wie man sie auch auf dem ersten rein-fantastischen Buch des Verlages, Phönix – Tochter der Asche, und seinen Folgebänden bewundern kann. Für die Zukunft sind auch hochwertig illustrierte Kurzgeschichtenbände geplant, die neben den Romanen zum Verschlingen, Anschauen und Sammeln einladen.
Auf der Messe erhält der Papierverzierer Verlag übrigens 20–30 Manuskripte am Tag, das ist 4 bis 6 mal so viel wie an herkömmlichen Tagen. Herr Schuppmann verriet, worauf Autoren beim Einreichen besonders achten müssen: Nur derjenige fällt auf, der innovativ ist. Auf die sorgfältige und individuelle Gestaltung kommt es an, denn die ist so wichtig wie bei einer Bewerbung, um aus der Masse herauszustechen. Wer es schafft, die Aufmerksamkeit des Verlegers oder Lektors zu erregen, hat gute Karten. Aber natürlich ist auch die Idee von großer Bedeutung, denn eine aufwendige Präsentation von Nichts ist immer noch … naja … nix. Also gilt es, mit bekannten Elementen neue Kombinationen zu schaffen, um daraus die Komposition einer neuen Welt zu kreieren, die dann wiederum auch noch gut genug ist, auf dem gut gefüllten Markt zu bestehen.
Auf die etwas rhetorische Frage hin, ob es inzwischen einen Überschuss an fantastischer Literatur gäbe, musste Herr Schuppmann dann aber doch kurz schmunzeln. Mit den Worten „Oh, jetzt wird‘s philosophisch“ stürzten wir vom eigentlichen Thema in ein Gespräch über eine offene und tolerante Gesellschaft, die trotz aller Toleranz aber immer noch provoziert werden möchte, zum zuletzt gelesenen Roman Revolver Tarot, von dem wir gleichermaßen begeistert waren. Letzterer bietet nämlich all das, was die Leserschaft dieses Genres wünscht: Provokation, Zweifel, Verknüpfung fantastischer Elemente mit modernen Toleranzfragen und eine spannende Idee. Bevor wir uns in diesem Gespräch aber vom Hölzchen aufs Stöckchen verlieren konnten, kündigten leider weitere ankommende Gäste an, dass unsere Zeit nun abgelaufen war. Tja, Verleger sind eben ein heiß begehrtes Völkchen. So lange dabei weiterhin so großartige Werke entstehen und diese dann auf meinem heimischen Nachttisch landen, soll‘s mir mehr als recht sein.
Fantasy, wohin das Auge blicket
Eigentlich wollte ich ja höchst systematisch eine Reihe nach der anderen abklappern, aber leider wurde dieses Konzept durch meine hektisch umherwandernden Augen und die auftauchenden Begeisterungsstürme vereitelt, sodass ich völlig planlos im Zickzack zwischen Besuchern, Trollis und Ständen hin- und herwechselte, um auch ja jedem Reiz des Gehirns nachzugeben. Besonders stylisch fand ich auch die Amizaras-Chronik, deren Bände über die Jahre von der RPC mit Awards ausgezeichnet wurden. Völlig zu Recht, fand ich, denn die hochwertig gestalteten Seiten mit unzähligen Illustrationen sind ein wahrer Augenschmaus und dabei mit knapp 30 Euro für ein Hardcover nicht mal wirklich kostspielig. Geplant sind übrigens auch Pen&Paper und Brettspiele zum Universum von Amizaras, wann es aber soweit sein wird, steht noch ein wenig in den mystischen Sternen.
Auf meinem Weg von Stand zu Stand schnappte ich Neuheiten wie altbekannte Bestseller auf den Werbetafeln auf. Plötzlich Banshee von Nina MacKay landete auf meiner Leseliste gleich neben Gefangen zwischen den Welten von Sara Oliver. Letzteres wurde auch über einen großen Monitor angepriesen, der mir doch ein bisschen Gänsehaut unter die Klamotten legte. In diesem Buch, das erst im August herauskam, geht es um zwei nahezu identische Mädchen, die in zwei Paralleldimensionen existieren, die wiederum durch unterschiedlich getroffene Entscheidungen entstanden sind. Als das Mädchen Ve plötzlich durch ein seltsames Gerät in die Welt der Doppelgänger Nicky geschleudert wird, müssen sich beide nicht nur mit dem Dasein der jeweils anderen abfinden, sondern auch ein Abenteuer aus Mut und Verlust bestehen, damit Ve in ihre eigene Welt zurückkehren kann. Äußerst spannend schon mal, aber die angebotene Leseprobe ist natürlich kein ganzes Buch, die Messe nicht lang genug geöffnet zum Durchschmökern, also ab auf die Merkliste. Apropos Merkliste …
Digitale Helferlein für den nimmersatten Bücherwurm
Aus meinem verträumten Von-Stand-zu-Stand-Schlendern wurde ich just herauskatapultiert, als sich die Hand eines netten jungen Herren auf meinen Arm legte, der mir sofort ein Handy unter die Nase hielt und etwas über Apps brabbelte. Oh Gott, dachte ich, keine e-Books bitte, die sehen nicht gut zum Glas Rotwein aus und sind höchstens für Dienstreisen und Busfahrten wirklich geeignet. Doch da der Mann ja nun mal schon am Reden war, hörte ich mir auch an, was er anzubieten hat – is ja sonst unhöflich. Die App LChoice, die es für Android und iPhones gibt, erstellt schnell und unkompliziert eine Merkliste für interessante Bücher. Einfach mit dem Smartphone den Barcode oder einen QR-Code vom Buch der Wahl einscannen und schon wird das begehrte Stück in einer Liste erfasst, über die man theoretisch auch direkt bei einem lokalen Buch-Anbieter bestellen kann. Ob man sich das Lesevergnügen dann nach Hause liefern lässt oder es beim entsprechenden Buchhandel selbst abholt, kommt auf Angebot und Entscheidung an. Da die App nichts kostet, kann man sie auch gleich mal ausprobieren und unterstützt damit die lokalen Anbieter gegenüber dem Großhandel des Internets. Macht auch gleich Schluss mit der ganzen Abfotografiererei von Buchteilen, die man nachher eh nicht mehr zuordnen kann.
Eine weitere App, die Besucher der Buchmesse in ihrer Leidenschaft miteinander verknüpft, heißt Sweek und verbindet Leser auf der ganzen Welt. Über das Smartphone kann man Kurzgeschichten hochladen und für alle vernetzten Teilnehmer zum Lesen und Bewerten zur Verfügung stellen. Möchte man selbst aber gar nicht als Schreiberling mitmachen, kann man auch einfach nur die Ideen der anderen anschauen, entdecken und beurteilen. So eröffnet sich eine Welt für unbekannte und bekannte Autoren, um sich ganz neu auszuprobieren oder erstmals als Autor zu erfinden.
Bücher gab’s schon immer, denn am Anfang war das Wort
Ungefähr zu der Zeit der ersten Wörter hatte ich mich spätestens im Bereich des Antiquariats zurückversetzt gefühlt, denn dort gab es Bücher aus Zeiten, als noch nicht mal Jesus als Idee im Regal stand (No Offence!). Ein edler roter Teppich führte die Besucher an den festinstallierten Vitrinen vorbei, die das ein oder andere exquisite Stück enthielten. Fasziniert musste ich meine Nase natürlich ganz nah am frisch polierten Glas plattdrücken, bis eine höfliche Dame fragte, ob sie mir eins der Stücke für die nähere Betrachtung herausholen solle. Ein kurzer Blick auf den Preis brachte mich dazu, dankend abzulehnen. Man stelle sich vor, ich hätte die Reste meiner vergehenden Erkältung explosionsartig auf einem schlappe 40.000 Euro teuren Stück verteilt. Nicht auszudenken.
Zwischen all den Riesen der literarischen und textuellen Geschichte lag übrigens auch ein zunächst sehr unscheinbar aussehendes kleines Schmankerl herum, nämlich das kleinste Buch der Welt. Nicht viel größer als eine männliche Daumenkuppe enthält der winzige Schatz allerdings über 100 Kochrezepte für Gemüse, Braten und Desserts. Da diese leider nicht nur vegetarisch sind, konnte ich mir die 1.200 Euronen für das Kochbuch – den Göttern sei Dank – sparen. Nach einem halbherzigen Blick in meine Taschen und Tüten, ob denn auch ja kein uralter sündhaft teurer Schinken darin versteckt sei, durfte ich den edlen Bereich wieder verlassen und mich erneut der „schnöden Unterhaltungsliteratur“ zuwenden.
3 von zigtausend Hallen – Guter Schnitt, oder?
Da ich mich von Halle 3 nicht trennen konnte, wurden meine Schritte auch magisch zu dieser zurückgeführt, sodass ich meinen ursprünglichen Plan des systematischen Abgrasens doch noch in die Tat umsetzen konnte. Dass dieser der richtige Weg ist, eine Messe zu erkunden, bestätigte sich in vielen neuen Eindrücken, die mir sonst wohl entschlüpft wären. So wäre mir zum Beispiel auch der Stand B18 beinahe durch die Lappen gegangen, an dem sich Edition Faust mit mehr als nur seinen Graphic Novels präsentierte.Letztere jedoch haben mich schon vor der Messe begeistert, da die italienischen Künstler Andrea Grosso Ciponte und Dacia Palmerino klassische Literatur in neue graphische Szenerien setzen und somit eine ganz eigene Atmosphäre der Geschichten schaffen. Neben Der Sandmann und der Marquise von O... wurde dort auch eine ganz aktuelle Art der Luther-Geschichte vorgestellt. Auf 160 Seiten wird originalgetreu die Geschichte des berühmten Urhebers der Reformation mit hochwertigen Illustrationen unterstützt und eröffnet einen bildgewaltigen, modernen Blick auf die religiöse Thematik. Und neben exklusiven Einblicken in das gerade frisch erschienene Werk, durfte ich auch die Hände derer schütteln, die an der Umsetzung beteiligt waren, z.B. Eberhard Pausch von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, der als einer von zwei Experten dafür sorgte, dass sich keine inhaltlichen Fehler einschleichen konnten.
Nach so vielen Eindrücken hatte ich das dringende Bedürfnis nach ein wenig Ruhe und nutzte die Gelegenheit, als ein Stückchen Bank an einem einladend aussehenden Stand frei wurde. Und weil man auf einer Buchmesse immer umgeben ist von Büchern, nahm ich eines aus dem Regal hinter mir und begann zu lesen. Abgelenkt wurde ich davon durch eine Frau, die plötzlich vor mir stand und mit einer anderen Dame ins Gespräch kam. Direkt vor meiner Nase baumelte ihr Namensschild: Nicole Böhm. Hmm … den Namen hatte ich doch gerade eben noch irgendwo … Als ich das Buch in meinen Händen nochmal zuklappte, prangte dort der gleiche Name. Hachja, schön, die Autorin steht direkt vor mir; tolle Gelegenheit, sich ins Gespräch einzumischen. So ergatterte ich noch einen schnellen Blick hinter die Kulissen der Seelenwächter-Chroniken, die in Form von e-Books monatlich herauskommen und inzwischen als düster-romantisch gestaltete Hardcover-Sammelbücher zu je drei Bänden auch als physisches Buch zu haben sind. Auch die Cover hat Nicole Böhm selbst gestaltet, was mich dann doch latent neidisch auf Kreativität und Fähigkeiten werden lässt. Hoffnungsvoll, dass ich ein solches Buch auch irgendwann als Exemplar in meiner Sammlung begrüßen darf, verabschiedete ich mich von der Autorin, Halle 3 und der Buchmesse 2016 in Frankfurt, um mit mannigfaltigen Eindrücken Richtung Heimat aufzubrechen. Und das mit nur zwei Büchern … Ich bin ein bisschen stolz auf mich.