Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Lieber Georg, du bist einer der Autoren von Finsterland, einem Steampunkrollenspiel aus Österreich. Bevor wir über dein Herzensprojekt sprechen, stell dich uns doch einmal kurz vor und wie dein Weg zum Rollenspiel verlief.
Georg Pils: Ich komme aus Wien, bin ein alter Sack und habe mit vier Jahren in der Kommode meiner Eltern die "Rote Schachtel" von Dungeons & Dragons entdeckt. Da war ein Drache drauf! Und ein Krieger! Ein absolut großartiges Bild. Ich war sofort begeistert. Dann wollte ich wissen, was das ist, und ich wollte damit auch spielen! Ich habe unsere Nachbarstochter so lange genervt, bis sie sich das durchgelesen hat und mir das Wichtigste erklärt hat. Dann habe ich nichts verstanden, aber Drachen! Und Krieger!
Egal.
Es war einfach der Hammer.
Als ich dann mit zwölf von Freund*innen auf Das Schwarze Auge gebracht wurde, war ich endgültig überzeugt. Später habe ich dann mit dem Gregor Eisenwort, meinem Freund und Trauzeugen, begonnen, ein Rollenspielsystem zu basteln und das wurde dann Finsterland.
Nicht immer finster: links – Gregor Eisenwort, rechts – Georg Pils
Andreas (ZWO): Gerne bleibe ich noch etwas beim Persönlichen. Wie kamst du, bzw. kamt ihr denn auf die Idee, ein eigenes Rollenspiel zu schreiben. Und warum Finsterland?
Georg: Wir hatten vor zwanzig Jahren eine recht fixe Gruppe, wo auch meine spätere Ehegattin (die das Ganze korrekturgelesen hat) mitgespielt hat, ebenso der bereits erwähnte Gregor sowie der Lukas Hofreiter, der ja das Layout von Finsterland gemacht hat. Ich habe da als Spielleiter immer wieder Ideen eingebracht und wir haben so quer durch den Gemüsegarten alles an Spielwelten und Systemen probiert.
Finsterland ist aus einer Piratengeschichte entstanden, die ein recht einfaches und anschauliches System, inspiriert von der World of Darkness, produziert hat. Steampunk war damals gerade recht neu und schick, und Wien kann dieses Fin-de-Siècle-Gründerzeit-Jugendstil-Ding recht gut. Es war einfach inspirierend. Interessanterweise gab es damals, in den grauen Vorzeiten der späten 1990er, noch nicht so viele Spiele in die Richtung, also war es wirklich eine Art Nische. Dass es dann wirklich ein Buch und später eine ganze Serie geworden ist, war wirklich mehr der gegenseitigen Motivation und Inspiration geschuldet. Und dem Umstand, dass ich einen Haufen talentierter und mit ihrer Zeit großzügiger Leute um mich hatte. Besonders möchte ich die Eleonore Eder, den Chris Gmeiner, den Stefan Fädler und den Michael Prammer nennen, die alle ganz viel für Finsterland gemacht haben!
Andreas (ZWO): Mittlerweile ist die Idee ja Wirklichkeit geworden. Finsterland fand ich dabei immer durch sein Setting auffällig. Stell uns doch die Welt von Finsterland einmal vor.
Georg: Die meisten Steampunk-Spielwelten sind sehr britisch. Sie sind vom viktorianischen Zeitalter inspiriert und von der englischen Literatur dieser Zeit. Mit ein bisserl Glück findet man ein paar Jules-Verne-Versatzstücke, aber ansonsten wird die kontinentale Kunst und Kultur oft ignoriert. Finsterland holt sich seine Inspiration aus Kontinentaleuropa. Wir haben tief in der Romantik herumgewühlt, haben uns bei E.T.A. Hoffmann, den Brüdern Grimm, Guy de Maupassant, Nikolai Gogol und Francisco de Goya und bei vielen anderen bedient und dazu auch noch im frühen 20. Jahrhundert gefladert, was zu fladern war. Karel Čapek (der Erfinder des Wortes “Roboter”), Franz Kafka, Fritz Lang und F. W. Murnau wurden ebenso unerbittlich verwurstet. Finsterland ist also eine Spielwelt, die vom 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in Kontinentaleuropa inspiriert ist. Es ist eine Zeit großer Änderungen. Das Land steckt mitten in der Industrialisierung und die Traditionen zählen nichts mehr. Die Welt steht unter Spannung und es ist noch nicht klar, wer am Ende Oberwasser haben wird. Das Land kommt gerade aus einem furchtbaren, industriell geführten Krieg heraus, und alle sind sich sicher, dass die Lektion gelernt wurde, und so etwas nicht wieder vorkommen wird … Gleichzeitig ist die Vergangenheit nicht überwunden und all die seltsamen Kreaturen, die bestenfalls Legenden sein sollten, wollen sich nicht vergessen lassen. Eine solche Welt voller Konflikte braucht Menschen, die bereit sind, einzugreifen und Probleme zu lösen.
Gleichzeitig ist Finsterland auch eine Spielwelt “von unten”. Es sind nicht alle Figuren Gentlemen-Detektiv*innen und Eleganz-Adelige, sondern es sind auch Leute aus der breiten Masse als Charaktere vorgesehen und machbar. So gesehen dreht Finsterland einige Konventionen im Steampunk-Bereich um. Das hat einen eigenen Charme.
Andreas (ZWO): Finsterland ist aber kein reines Setting, sondern kommt mit eigenen Regeln daher.
Georg: Finsterland hat ein eigenes Regelsystem, bei dem uns wichtig war, dass es leicht zu lernen und zu verwenden ist. Wir haben speziell versucht, es der Spielleitung leicht zu machen, eigene Geschichten zu erfinden und passende Herausforderungen zu gestalten. Das Regelsystem baut darauf auf, eine gewisse Zahl von zehnseitigen Würfeln zu werfen. Jeder Siebener oder mehr ist ein Erfolg, viele Erfolge sind gut. Dann gibt es eine Reihe von Verfeinerungen, mit denen die Ergebnisse noch ausgestaltet werden können. Je nach Figur, die man spielt, bekommt man eigene Fähigkeiten und “Tricks”, wobei man in der Zusammenstellung der Charaktere sehr frei ist. Charakterklassen im Sinne von D&D gibt es nicht, eher Archetypen, auf denen man aufbauen kann. Es wird auch empfohlen, die Fähigkeiten den eigenen Vorstellungen entsprechend zu präsentieren. Ob eine Zauberin ihre Sprüche durch ein Studium der Magischen Künste an einer Universität erworben hat oder ob das seltsame, angeborene Fähigkeiten sind, ob sie einen Pakt mit einem uralten Wesen aus der Höllischen Sphäre geschlossen hat oder das einfach seltsame Zufälle sind oder ob sie vielleicht eine seltsame Apparatur konstruiert hat, die das macht, bleibt der Person, die sie spielt, überlassen.
Vor allem wollten wir, dass das Regelsystem dem Spielfluss nicht im Wege steht und trotzdem spannende Situationen schafft.
Andreas (ZWO): Sehr stark finde ich auch euer Artwork. Damit müsst ihr euch auch vor größeren Projekten nicht verstecken. Wen konntet ihr denn zeichnend für Finsterland gewinnen?
Georg: Die Covers sind von Eleonore Eder, einer guten Freundin und ausgezeichneten Grafikerin und Zeichnerin. Die Layouts sind von Lukas Hofreiter, ihrem Lebensgefährten und Co-Musiker. Die Innenillustrationen sind auch von den beiden, aber auch von Avery Wieninger, dem Chris Gmeiner, dem Stefan Fädler und einigen Künstlern und Künstlerinnen, die dafür angeheuert wurden. Vor allem bei den späteren Büchern (ab dem Compendium der Curiositäten) war ich immer wieder darauf angewiesen, Leute jenseits des ursprünglichen Kernteams zu fragen, schlicht, weil das Privat- und Berufsleben für uns alle aufwendiger geworden ist. Vielleicht sei noch der Erik R. Andara erwähnt, der heute vor allem Schriftsteller ist, aber für das Compendium innerhalb eines Monats alle Postkarten durchdesignt und gemalt hat. Das war die Rettung in der Not.
Andreas (ZWO): Wenn man all das zusammenführt: Was kann ich denn mit Finsterland erleben, das mir nur mit Finsterland möglich ist?
Georg: Finsterland ist ein Setting, das recht viel Platz lässt und trotzdem lebensnah und anschaulich ist. Man kann es mit Menschen bevölkern, die existieren oder existiert haben und es verbindet die Fantastik mit der Geschichte auf eine unterhaltsame, inspirierende Art. Ob man jetzt eher vom wilhelminischen Deutschland, von der Donaumonarchie, vom Ersten Weltkrieg oder von den Wilden Zwanzigern startet, man kann sich auf spannende Momente und wüste Abenteuer einstellen. Von Detektivgeschichten in den Docks von Sundheim, zu Luftschiffpiraterie im Bracher Land, von politischen Intrigen in Alexandragrad, bis zu Aufständen rebellischer Zauberstudent*innen in Kastills, von Totmacher*innen, Trollen, Erlenvätern und Eisenmeister*innen, es gibt immer weitere Geschichten zu erleben.
Das sei da vielleicht noch erwähnt: Wir haben uns Mühe gegeben, ganz viel Material zur Inspiration auf unserer Webseite "www.finsterland.net" zu sammeln. Da findet man Stadtbeschreibungen, kurze Abenteuerabrisse, neue Gegner und Optionen für Charaktere. Und es gibt eine Wiki, für die Leute, die noch mehr Informationen brauchen. Die ist auf "finsterland.fandom.com"zu finden.
Andreas (ZWO): Finsterland ist trotz seines österreichischen Ursprungs im Ruhrgebietsverlag Redaktion-Phantastik erschienen. Wie kam es denn zur Zusammenarbeit?
Georg: Es sind einfach zwei Dinge: Erstens sind die Sylvia und die Ulrike, die beiden Köpfe des Verlags, absolut großartig und machen eine unglaubliche Arbeit. Sie haben auch die Qualität der Redaktion bei den Finsterland-Büchern nochmal ordentlich angehoben. Das ist viel wert. Danke!
Zweitens ist es sehr schwierig, von Österreich aus den deutschen Markt zu bespielen und da ist es einfach super, mit etablierten, erfahrenen Leuten zusammenzuarbeiten. Wir sind da von Wien aus einfach an unsere Grenzen gestoßen und jetzt haben wir mehr Spielraum.
Andreas (ZWO): Welche Produkte sind denn mittlerweile für Finsterland erschienen und auf welche davon bist du besonders stolz?
Georg: Neben dem Grundbuch gibt es den Almanach der Zauberkunst (Magie aller Art), das Handbuch der Technologie (Technische Geräte, Gegner und Optionen), das Compendium der Curiositäten (reichlich Material zu verschiedenen Themen, aber auch die Beschreibung der Hauptstadt), das Dracolith-Kampagnenbuch (von einem Fan geschrieben und sehr gelungen!), die Geschichten aus dem Finsterland (Kurzgeschichten) und jetzt eben die ersten zwei Bände von Freiheit für Schwarzenbrück (die große Kampagne für Finsterland).
Ich könnte mich jetzt wirklich nicht entscheiden, welches Buch mir am meisten taugt, aber der Almanach hat sicher die besten Anspielungen und die beste Karte der Sphären der Wirklichkeit, die jemals in einem Finsterland-Rollenspielprodukt veröffentlicht wurde.
Andreas (ZWO): Zur Zeit schreibst du an der Kampagne zu Schwarzenbrück. Worum geht es denn in dieser epischen Kampagne und wann wird sie abgeschlossen sein?
Georg: In dieser Kampagne geht es um eine Zeitung, deren Redaktion (unter Mitwirkung der Spielgruppe) allerhand Skandale, Verschwörungen und Geheimnisse in der Stadt Schwarzenbrück aufdeckt. Das ist eine Situation, die ich bis jetzt noch kaum im Rollenspiel gesehen habe, und es ist sehr unterhaltsam und inspirierend, dafür zu schreiben. Corona- und arbeitsbedingt dauert alles ein bisschen länger, aber der dritte von fünf Bänden ist bereits im Werden und ich hoffe, dass es jenseits der Hälfte dann schwungvoll vorangeht. Die große, epische Überkampagne ist halt der Traum eines jeden Rollenspielredakteurs. Man muss sie dann auch noch schreiben …
Andreas (ZWO): Und wie wird es nach Schwarzenbrück weitergehen? Was plant ihr für die fernere Zukunft? Wird es noch mehr Material geben?
Georg: Prinzipiell hätte ich zwei Dinge in Vorbereitung, die man auch schon teilweise auf der Webseite anschauen kann. Einerseits wäre da das Tarasien-Buch, das jenes geheimnisvolle Land im Osten des Finsterlands behandelt, eine Art Osmanisches Reich, Mongolisches Imperium-China, andererseits gäbe es auch Finsterland 80er, das Setting, dass das Finsterland der Zukunft (also der 80er Jahre behandelt). Das hat als Witz angefangen, aber mittlerweile taugt es mir zu sehr, um es völlig fallenzulassen.
Andreas (ZWO): Es wirkt so, als ob dir so schnell nicht die Ideen ausgehen würden. Dazu wünsche ich dir und euch viel Erfolg!