Avataris ist das größte Online-Rollenspiel, das Verstorbenen ein neues Dasein als Champion von Aeya oder Garrak – den Anführenden der Fraktionen des Game-Settings – bietet. In dieser digitalen Nachwelt können die Spielenden nicht nur Abenteuer erleben und Monster bekämpfen, sondern auch ihr ganz normales Leben als Held*in führen und abends in Tavernen entspannen oder Freundschaften pflegen.
Die Geschichte beginnt mit Rob, einem Neuling in Avataris, der ohne Erinnerungen an seine frühere Existenz aus dem Meer der Seelen als Aeyas Champion zurückgeholt wird. Rasch erkennt er, dass etwas nicht mit ihm stimmt, denn er kann die Fragen eines NPCs zu seiner Vergangenheit als "Lebender" nicht beantworten. Er hat keine Erinnerungen zu seiner Person und kann sich in diese Welt der Champions und des Kampfes nicht eingewöhnen, während alle anderen Spielenden sich nahtlos in ihre Rolle einfügen. Die Menschen agieren ungewöhnlich, zumindest empfindet Rob dies so. Doch für alle anderen scheint es absolut logisch und normal, dass jeden Tag neue Helden und Heldinnen zum Tavernen-Wirt kommen und dieser den gleichen Auftrag mit exakt gleicher Wortwahl an jeden neuen Champion herausgibt. Nur scheinen alle außer Rob den Ratten im Keller des Wirts gewachsen zu sein, Rob empfindet sich nicht als “Heldenmaterial”, sondern als fremd und falsch in dieser Welt. Was für die anderen selbstverständlich ist – Aufträge abzulehnen, die nicht genug Bezahlung bieten, aber Menschenleben retten würden – ist für Rob unvereinbar mit seinem Gewissen.
Dieses "Anders-sein" hat für Rob ziemlich zügig schwerwiegende Konsequenzen. Er wird als Verräter und Spitzel Garraks, dem Widersacher von Aeya, verhaftet und zur Scharfrichterin Elisa Anasia gebracht, wo ihm eine endgültige Vernichtung droht. Rob wird klar, dass er vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe steht, wenn er dieser Vernichtung entkommen will, doch es gibt eine Heldengruppe, die – ebenso wie Rob – anders ist. Und sie brauchen Rob für ihre Mission.
Fantasy-LitRPG für (MM)ORPG-Fans
Bereits von Beginn an gelingt es Eternity Online, den Lesenden unmittelbar in die Welt eines RPG-Games zu versetzen. Erzählt aus der Ich-Perspektive fühlt man sich direkt als Teil dieser virtuellen Welt. Gerade der Start des Romans erinnert stark an World of Warcraft; unweigerlich hatten sich Bilder vom Wald von Elwynn und Goldhain vor meinem inneren Auge geformt. Diese Art der Immersion ist meiner Meinung nach nahezu perfekt gelungen. Die Quests und das generelle Storybuilding sind extrem nah an einem Rollenspiel angesiedelt und wurden hervorragend umgesetzt. Immer wieder brachte mich die in die Geschichte eingebrachte typische Spiel-Logik oder die allzu vertraute Logik der Spielenden zum Schmunzeln.
Das Buch ist außerdem prall gefüllt mit Ereignissen, Quests und Action. Die Gruppe um Rob questet sich auf eigene Faust durch die Welt, was sehr unterhaltsam zu lesen ist. Verschiedene Referenzen zu bekannten Spielen des Genres, Easter Eggs sowie klassentypische Fähigkeiten (Schafszauber) und Spiel-Mechaniken (Schlachtrufe, Pull-Mechaniken) machen die Geschichte besonders reizvoll für Gamer*innen und runden das Gesamterlebnis hervorragend ab, während die Geschichte voranschreitet. Insgesamt treffen wir in Avataris auf vier unterschiedliche Spezies: Menschen, Squans (eine Art Meerschweinchen), Gronts (Bärenartige) und Elloyans (Baumwesen). Tanks, Damage Dealer und Magierklassen stehen den Spielenden in Avataris zur Wahl und werden im Glossar am Ende für nicht gamende Personen kurz erklärt und mit Grafiken visualisiert.
Auf die Queste, fertig, los
Die Heldengruppe, der Rob sich anschließt, ist – auch ganz klassisch RPG – in einer Gilde organisiert. Die bunt gemischte Truppe, die letztlich mit unserem Hauptcharakter und Weltenretter zusammen loszieht, entspricht ebenso dem klassischen Build eines Teams. Ethan, ein Paladin, Marten, Meerschweinchen in Plattenrüstung, Saira, die Heilerin und Rose, die Magierin. Ihnen zu eigen ist zudem, dass sie die einzigen sind, die sich an das Leben vor Avataris erinnern können. Ein Umstand, der per Gesetz eigentlich gar nicht sein dürfte. Daher steht nicht nur Rob auf der Liste der Silbernen Garde, sondern ebenso die gesamte Gilde, die ihm bei seinem Auftrag unterstützen möchte.
Allerdings bleiben manche Aspekte für mich zu oberflächlich. Gerade bei den Hauptcharakteren fehlt es öfters an Tiefe. Natürlich ist es ein zentrales Element der Handlung, dass Rob sich an rein gar nichts aus seinem früheren Leben erinnert, doch seine Innensicht in der Welt von Avataris hätte da einen Ausgleich schaffen können. Er fühlt sich nicht als Held, nicht als Anführer, aber muss beides sein – dieser Zwiespalt allein ist insgesamt leider etwas blass; ich hätte mir hier mehr Charakter gewünscht. Ohne dabei einen konkreten Grund benennen zu können, woran es letztlich haperte, ging mir das Lesen recht schwer von der Hand. Es hat durchaus Spaß gemacht, dieses LitRPG zu lesen, jedoch entwickelte sich Eternity Online für mich nicht zu einem Pageturner, die Spannung konnte trotz allem Positiven nicht auf mich überspringen. Auch wenn die Immersion und die Spielreferenzen sehr gelungen sind, fehlt es dem Buch für mich am “gewissen Etwas”.
Fazit
Mit Eternity Online weiß Autor Mikkel Robrahn Fans von Online-Rollenspielen in seine Welt zu ziehen. Der LitRPG-Roman schafft es bereits von Beginn an, den Lesenden in ein RPG-Game zu versetzen und durch die Erzählung aus der Ich-Perspektive eine tiefe Immersion zu erzeugen. Die Schilderung der Quests und die liebevoll eingebrachten Referenzen zu bekannten Spielen lassen die Herzen von (MM)ORPG-Fans höherschlagen und sorgen für nostalgische Momente und vertrautes Schmunzeln. Durch die bunte Mischung der Heldengruppe rund um Rob und deren Quests bleibt das Geschehen stets dynamisch und unterhaltsam.
Allerdings fehlt es der Geschichte an einigen Stellen an Tiefe. Besonders bei der Charakterentwicklung hätten innere Reflexionen der Hauptfigur Rob gutgetan. Sein Kampf mit der eigenen Identität bleibt mir zu blass. Das Buch bietet ein interessantes Setting und viele gelungene Details, jedoch fehlt mir das gewisse Etwas, das es zu einem unvergesslichen Leseerlebnis machen würde.
Kurzum: Eternity Online ist ein kurzweiliges und interessantes Fantasy-LitRPG-Abenteuer, nicht nur für Gamer*innen, das durch seine Immersion und Liebe des Autors zu RPGs zu überzeugen weiß. Auch wenn das bei mir leider nicht in der Gänze funktioniert hat.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.