Begriffe wie Mittelerde, Hobbit oder Elben sind wohl den meisten Menschen bekannt – ganz egal, ob sie jemals ein Werk von Tolkien gelesen haben oder nicht. Doch taucht man etwas tiefer ein und Wörter wie Quenya oder Khuzdul fallen, wird es für viele schon zu nerdig.
Die Werke des britischen Fantasy-Autors J.R.R. Tolkien faszinieren auch all die Jahre nach ihrer Veröffentlichung noch – jedes Jahr erscheinen neue Bücher, Serien, Filme, Games und wissenschaftliche Beiträge zur phantastischen Welt des Professors, wie ihn die Tolkien-Fangemeinde anerkennend nennt. Tolkien lehrte englische Sprachwissenschaft an der Universität Oxford, hegte eine große Leidenschaft für Heldenepen, Mythologie und Sprachen – und vieles davon findet sich in seinen Büchern wieder.
Kein Wunder also, dass begeisterte Lesende sich (populär)wissenschaftlich mit Tolkiens Legendarium beschäftigen, ist es doch komplexer als fast alles, was wir sonst aus der Literaturgeschichte kennen. Doch wo fängt man als Neuling am besten an? Was ist Tolkiens Legendarium überhaupt? Welche Rolle spielen die Zeitalter Mittelerdes für das Gesamtwerk? In welcher Reihenfolge sollte man die Bücher am besten lesen? Und wo kann man Informationen gebündelt nachschlagen, um beim Lesen nicht den Überblick zu verlieren?
Tolkiens Legendarium
Viele Schreibende haben mit ihren Werken eigene Welten erschaffen, doch was Tolkien von vom größten Teil der Autorenschaft unterscheidet, ist das schiere Ausmaß seines Worldbuildings: von eigens konstruierten Sprachen über Völker, Länder und Kontinente bis hin zu einem kompletten Schöpfungsmythos für seine Welt Mittelerde, erschuf Tolkien eine in sich geschlossene fiktive historische Wirklichkeit.
Die Gesamtheit aller Geschichten aus der Feder Tolkiens, die die Basis seiner Mythologie bilden, wurde von ihm selbst als Legendarium bezeichnet. Das Legendarium umfasst dabei Erzählungen aus den ersten vier Zeitaltern Mittelerdes, darunter Der Hobbit, Der Herr der Ringe und Das Silmarillion sowie die Schöpfungsgeschichte.
Die Zeitalter Mittelerdes
Die Welt der Hobbits, Elben, Zwerge und Zauberer wird in Tolkiens Mythologie durch das Schöpfungslied, die sogenannte Ainulindale, in die Existenz gesungen. Darauf folgen das Zeitalter vor den Tagen sowie die vier Zeitalter Mittelerdes, in denen die meisten Geschichten Tolkiens zeitlich angesiedelt sind. Die Zeitalter umspannen jeweils mehrere Tausend Jahre und werden in den unterschiedlichen Werken von Tolkien nacherzählt.
Das Erste Zeitalter, auch Altvorderenzeit genannt, wird im Silmarillion behandelt, das von Tolkiens Sohn Christopher – basierend auf den fragmentarischen Schriften Tolkiens – posthum zusammengestellt und herausgegeben wurde. Auch die Ereignisse des Zweiten Zeitalters von Mittelerde werden im Silmarillion behandelt, die darin enthaltene Akallabêth erzählt vom Inselreich Númenor und seinem Untergang. Auch in den Anhängen des Herrn der Ringe finden sich Informationen zum Zweiten Zeitalter.
Das Dritte Zeitalter dürfte wohl das weithin bekannteste sein, denn in dieser Zeit spielt sich die Haupthandlung von Der Hobbit und Der Herr der Ringe ab. Das Dritte Zeitalter endet mit dem Verschwinden der Elben aus Mittelerde und der Reise der Ringträger gen Westen. Das Vierte Zeitalter ist das letzte von Tolkien beschriebene Zeitalter und wird auch Zeitalter der Menschen genannt, Informationen dazu finden sich im Prolog und in den Anhängen des Herrn der Ringe.
Die richtige Reihenfolge
Anhand der Zuordnung der bekannteren Werke zu den Zeitaltern lässt sich bereits erahnen, dass sich Tolkiens Legendarium nicht einfach chronologisch von der Schöpfung bis zum Zeitalter der Menschen „durchlesen“ lässt. Viele Informationen verteilen sich auf weitere Quellen, Anhänge und Erzählungen sowie die Textsammlung Nachrichten aus Mittelerde, die ebenfalls posthum erschien, allerdings im Gegensatz zum Silmarillion nicht zu einem zusammenhängenden Werk bearbeitet wurde, sondern in Fragmentform verblieb.
Für Neulinge, die erst einmal vorsichtig einen Zeh ins Wasser von Tolkiens literarischem Ozean halten und nicht gleich ins kalte Wasser geworfen werden wollen, bietet sich – trotz chronologisch „richtiger“ Reihenfolge – das umfangreiche und sehr komplexe Silmarillion eher nicht als Einstieg an; nicht umsonst wird es oft auch „Das Alte Testament von Mittelerde“ genannt. Vielmehr sind in diesem Fall Der Hobbit und Der Herr der Ringe trotz der späteren zeitlichen Einordnung der sanftere und gangbarere Weg. Der Hobbit war ursprünglich als Kinderbuch gedacht, ist aber definitiv ein Roman für alle Altersklassen und schafft den leichtesten Einstieg in Tolkiens Legendarium.
Wer danach tiefer eintauchen will, macht gleich mit Der Herr der Ringe weiter, denn die drei Bücher schließen in ihrer Handlung an die Ereignisse aus dem Hobbit an, der Erzählstil wird erwachsener. Historisch gesehen sind damit die wichtigsten Ereignisse des späten Dritten Zeitalters und der Beginn des Vierten Zeitalters abgedeckt. Obwohl das Silmarillion eigentlich die Vorgeschichte zum Hobbit und dem Herrn der Ringe erzählt, sollten Einsteiger besser erst danach zu dem umfangreichen Heldenepos über das Erste und Zweite Zeitalter greifen. Dafür werden sie aber mit einem tieferen Verständnis und einer neuen Perspektive auf das bereits Gelesene belohnt. Wer dann noch immer nicht genug hat, kann sich an die fragmentarischen Nachrichten aus Mittelerde wagen.
Tolkien-Lesehilfe
Eine große Hilfe bei der Lektüre bieten die vielen Tolkien-Fachkundigen, die Informationen zu Figuren, Völkern, Orten, Gegenständen, Sprachen und wichtigen Ereignissen, aber auch Flora und Fauna oder Schriften zusammentragen, erklären, einordnen und diskutieren; so auch Damien Bador, Audrey Morelle, Coralie Potot, Vivien Stocker, Jean-Rodolphe Turlin und Dominique Vigot, die allesamt in der französischen Tolkien-Szene verwurzelt sind. Gemeinsam haben sie gleich zwei umfangreiche Werke zu Tolkiens Legendarium herausgebracht: Mit Die große Hobbit-Enzyklopädie haben sie ein Buch vorgelegt, das erstmalig eine übersichtliche Zusammenstellung von Informationen rund um Der Hobbit bietet, die sich auf verschiedene Stellen in Tolkiens Legendarium verteilen. Mit ihrem neuen Buch Die große Mittelerde-Enzyklopädie beleuchten sie das Zweite Zeitalter genauer und bieten ein einmaliges Nachschlagewerk zu einem Bereich des Legendariums, der trotz (oder vielleicht gerade wegen) der Informationslücken viel Diskussionsstoff bietet – zuletzt im Rahmen der Amazon-Serie Die Ringe der Macht.
Beide Enzyklopädien bieten ausführliche Artikel zu allen relevanten Bereichen – respektive aus Der Hobbit und dem Silmarillion sowie weiteren Quellen zum Zweiten Zeitalter. Für diese Werke wurde sich bewusst gegen kurze oder stichwortartige Lexikon-Einträge entschieden, wie es in vielen bisher veröffentlichten Lexika zu Tolkiens Legendarium der Fall war, und stattdessen ausführliche Artikel und Recherchen zu jedem Thema verfasst. So werden die Einträge selbst zu einem eigenen kleinen Legendarium, das hervorragend als Begleitlektüre oder zum Wiedereintauchen in Tolkiens Welt funktioniert.
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Die große Hobbit-Enzyklopädie
Begleitend zu Der Hobbit empfiehlt sich also selbstredend Die große Hobbit-Enzyklopädie, in deren Mittelpunkt die noch recht kindliche Erzählung über den beinahe zufällig in ein Abenteuer geratenen Hobbit Bilbo Beutlin steht. Besonders hervorzuheben ist hier der sehr hilfreiche Part über die von Tolkien erfundenen Sprachen wie Khuzdul und Tengwar sowie die Inspirationsquellen wie Beowulf, die Eddas, viktorianische Literatur oder auch skandinavische Sagas.
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Wer den Hobbit bisher für ein normales Fantasy-Kinderbuch gehalten hat, wird bereits nach dem ersten Durchblättern der Hobbit-Enzyklopädie eines Besseren belehrt.
Die große Mittelerde-Enzyklopädie
Während Die große Hobbit-Enzyklopädie den Fokus auf das Buch Der Hobbit sowie dessen Charaktere, Völker, Orte und zentralen Ereignisse legt, geht es in Die große Mittelerde-Enzyklopädie um die Erschaffung von Mittelerde selbst. Die Inhalte des Silmarillions werden mit einem besonderen Fokus auf die Völker, die Flora und Fauna Mittelerdes sowie die Schriften, beispielsweise die Akallabêth, die Tolkien innerhalb seiner Welt zur mythologischen Grundlage machte und als fiktionale Geschichtsschreibung anlegte, aufbereitet.
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Die Mittelerde-Enzyklopädie kann bereits als Nachschlagewerk während der Lektüre von Der Herr der Ringe genutzt werden, ihre volle Kraft entfaltet sie aber erst, wenn man sich thematisch auf das Silmarillion einlassen will und kann. Auch als Lexikon zum besseren Verständnis der Geschehnisse der Serie Die Ringe der Macht ist die Enzyklopädie bestens geeignet – womöglich entdecken aufmerksame Lesende so noch den ein oder anderen Fehler in der Serien-Adaption.
Ein weiteres Buch, das sich ausschließlich mit Der Herr der Ringe befasst und die Reihe zu Tolkiens Legendarium vervollständigen soll, ist bereits in Arbeit.
Text: Lisa Immel

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Dieser Artikel erschien erstmals in der Zauberwelten Frühjahr 2025. Mit dem Code ZW2503100! könnt ihr euch diese Ausgabe kostenlos als PDF downloaden. |
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