EXODUS weiß zu gefallen. In ein bis zwei Ausgaben pro Jahr versammelt das Magazin regelmäßig hervorragende Science-Fiction-Geschichten und Lyrik-Beiträge, die manchmal überraschen, manchmal alten Pfaden folgen und eigentlich immer gut zu unterhalten wissen. Hinzu kommt die Tatsache, dass jede Erzählung illustriert ist, zudem eine mehrseitige Galerie die Heftmitte schmückt und so eine Künstlerin oder einen Künstler in das Spotlight rückt. So auch in Ausgabe 43: Auf elf Kurzgeschichten, einige kleinere Gedichte oder Zitate und eine 20-seitige Bildergalerie mit den brillanten Werken von Hubert Schweizer dürfen die Lesenden sich freuen.
Die Auswahl der einzelnen Kurzgeschichten ist in dieser Ausgabe sehr heterogen, reicht von märchenhafter Fantasy (Emil Kaschka, "Das Labyrinth") über eine Jules-Verne-/H.-P.-Lovecraft-Pastiche (Willem Kucharzik, "Das verlorene Kapitel – Aus dem Tagebuch des Schiffsjungen") bis hin zu religiösen Weltraumabenteuern (Elena L. Knödler, "Der lange Weg zur Schöpfung") und sozialkritischen Zukunftsvisionen im Philip-K.-Dick-Gewand (Roman Schleifer, "IQ 187"; Thomas Grüter, "Meine künstlichen Kinder"). Unterm Strich ist diese breite Palette erfreulich, jedoch sind viele der enthaltenen Beiträge eher durchschnittlich: Fast alle Erzählungen bauen auf einer spannenden Prämisse oder Erzählstruktur auf; wirklich hervorstechen und in Erinnerung bleiben jedoch nur wenige Geschichten im Heft.
Hier ein kurzer Eindruck meiner drei Highlights aus dem Heft:
Norbert Stöbe: "Das Ding"
Karlo hat seit Jahren seine Wohnung nicht mehr verlassen – das brauchte er auch nicht, denn fortschrittliche Smart-Home-Systeme, Telearbeit und künstliches Tageslicht haben es möglich gemacht, ein ganzes Leben in einer fensterlosen Wohnung zu verbringen. Doch eines Tages erhält Karlo ein "Ding" per Post, ohne es bestellt zu haben. Es scheint sich um eine bio-technische Künstliche Intelligenz zu handeln, die allzu oft gegen Karlos Wünsche agiert und ihn dadurch Stück für Stück aus seinem menschgemachten Schneckenhaus hervorlockt.
Die Erzählung stimmt nachdenklich: über eine immer träger werdende Gesellschaft; über Isolation und Einsamkeit als Folge von konsumgetriebener Technologisierung; über die Vernetzungsmöglichkeiten, die solche Technologie zugleich aber doch bieten kann. Die Stärke an "Das Ding" liegt darin, dass die Erzählung den Fortschritt eben nicht verteufelt, sondern vielmehr seine verschiedenen Facetten aufzeigt und dabei immer den Fokus auf die Konsequenzen für den Menschen behält.
Moni Schubert: "Department for Special Purposes"
Auf ganz nostalgische Art trägt uns Schuberts Kurzgeschichte zurück in die 1940er-Jahre – die Zeit der Roswell-Aliens und Area 51 – entführt uns dann jedoch in die unmittelbare Zukunft. Aus Sicht des Protagonisten Jake ist die Erzählung in zahlreiche kurze Abschnitte gegliedert, die schlaglichtartig schildern, wie Jake über die Jahre hinweg Teil des militärischen "Department for Special Purposes" wird, dort Alien-Technologie erforscht und schließlich das erlangte Wissen auf verdecktem Weg an die Gesellschaft weitergibt. Zahlreiche Patente, so erfahren die Lesenden schon früh, gehen in Wahrheit auf die Technologie Außerirdischer zurück.
Die Kurzgeschichte ist humorvoll und visionär zugleich. Zwar sind sowohl Prämisse als auch Auflösung der Erzählung nicht unbedingt innovativ. Doch die Geschichte ist unterhaltsam und bedient die Nostalgie des einstigen Roswell-Hypes wunderbar.
Thomas Grüter: "Meine künstlichen Kinder"
Künstliche Intelligenz ist der Schlüssel zu vielen Problemen oder wird zumindest als solcher angesehen – das erleben wir bereits in unserer heutigen Zeit. Doch auch eine K.I. muss erst einmal lernen, um schließlich ihren Zweck zu erfüllen. Grüter geht in seiner Kurzgeschichte jedoch einen Schritt weiter: Die K.I.s seiner futuristischen Welt bedürfen einer Erziehung. Clive hat den Auftrag, zwei Künstliche Intelligenzen wie Kinder zu erziehen, damit sie das Sicherheitssystem steuern können. Durch eine derartige Erziehung, so Clives These, lassen sich K.I.s auf menschlich-moralisches Handeln trainieren und grausam-rationale Entscheidungen verhindern.
Die Kurzgeschichte beleuchtet das Thema der Künstlichen Intelligenz auf eine bekannt dystopische Weise und dennoch verfehlt die Pointe ihr Ziel nicht. Das mag unter anderem daran liegen, dass die K.I. der vorliegenden Erzählung eben keine rationale, kühle Persönlichkeit ist, sondern zwei verspielte künstliche Kinder.
Illustrationen und Galerie
Die Illustrationen der jeweiligen Kurzgeschichten sind erneut gelungen. Als besonders stimmungsvoll stechen in diesem Heft die Zeichnungen Frauke Bergers, Michael Vogts und Hubert Schweizers hervor, der neben seiner Bebilderung der Kurzgeschichte "Das verlorene Kapitel – Aus dem Tagebuch des Schiffsjungen" auch die Künstlergalerie stellt.
Diese Galerie ist eine Ode an die phantastischen Welten, wie die Kunst sie in den 1980-Jahren hervorbrachte. In zahlreichen atmosphärischen Landschaftszeichnungen, die ob ihres Farb- und Detailreichtums und des Fokus auf organischer Materie gelegentlich an Max Ernst erinnern, entwirft Schweizer Welten, die in einem einzelnen Bild ihre ganz eigene Geschichte erzählen.
Fazit:
Zwar sind einige Beiträge der 43. Ausgabe von EXODUS eher durchschnittlich, lesenswert ist das Heft aber allemal: Es stimmt nachdenklich, es unterhält und es enthält zahlreiche implizite wie explizite Hommagen an Science-Fiction-Größen wie Jules Verne, H. P. Lovecraft und Philip K. Dick. Insbesondere die Künstlergalerie von Hubert Schweizer ist ein Augenschmaus des Hefts und zeigt, dass gute Science-Fiction mehr ist als "nur" literarische Texte. Unterm Strich eine kurzweilige Lektüre, die die verschiedenen Register des Genres bedient und sie mit stimmungsvollen Illustrationen untermalt.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
Zauberwelten-Online.de