Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Lieber Jörg, du bist der Kopf hinter Seelenfänger. Bevor wir zum Rollenspiel kommen, würde mich interessieren, wie du zur Phantastik und zum Rollenspiel gekommen bist.
Jörg Köster: Für Sagen, Legenden und die Phantastik habe ich mich schon immer interessiert und viel gelesen, fantastische Filme geschaut und passende Computerspiele gespielt. Mit dem Rollenspiel angefangen habe ich in meiner Zivildienstzeit Ende der 80er/Anfang der 90er. Ja, das ist schon ziemlich lange her, denn ich bin ein alter Sack ;-) Ein Freund und Mit-Zivi fragte mich, ob ich nicht mal bei diesem AD&D (2nd Ed.) mitmachen wollte. Da ich schon immer Fantasy-Romane verschlungen hatte und ich es super spannend fand, irgendwie Teil einer solchen fantastischen Geschichte zu sein, bin ich drauf angesprungen. Das habe ich bis heute nicht bereut. Seitdem habe ich unzählige andere Spiele ausprobiert. Anfangs habe ich als Spieler mitgemacht und recht bald selbst die Rolle der Spielleitung übernommen. Tatsächlich habe ich von Anfang an nie fertige Abenteuer gespielt, sondern mir immer selbst welche ausgedacht. Später habe ich begonnen, die Regeln den Bedürfnissen meiner Gruppen anzupassen und zu ergänzen. Nach einigen Jahren habe ich begonnen, auch komplett eigene Spielsysteme und Spielwelten zu entwickeln. Irgendwann habe ich mich dann auch an das Schreiben von Kurzgeschichten gewagt. Die meisten spielen in meinen eigenen Welten. Aber ich habe auch schon Beiträge für andere Projekte wie Ultima Ratio von Nikolas Tsamourtzis, die Schattengalaxis aus der Feder von Daniel Isberner oder andere Anthologien geschrieben.
Andreas (ZWO): Und wie kam es dann zu Seelenfänger? Wie kam es zu der Inspiration und was war deine erste Idee dahinter?
Jörg: Meine ersten Ideen zu Seelenfänger hatte ich irgendwann Ende der 2000er. Damals wollte ich eine düstere Rollenspielwelt schaffen, in der Seelen – also Geister der Verstorbenen – eine große Rolle spielen. Besondere Menschen sollten in der Lage sein, mit diesen Kontakt aufzunehmen, um sie zu kontrollieren, einzufangen oder zu bekämpfen. Außerdem sollten verschiedene dunkle Sagen und Legenden der europäischen Mythologe in dieser Spielwelt Gestalt annehmen. Ich wollte eine besondere Spielwelt, weitab von klassischen Elfen, Zwergen und Orks.
Inspiriert wurde ich vor allem durch Filme wie Pakt der Wölfe, Pans Labyrinth, Sleepy Hollow, Brothers Grimm, Sixth Sense und später auch Jonathan Strange & Mr Norrell, The Conjuring, The Witch, Odd Thomas und viele andere Filme und Bücher, die sich mit Geistern und/oder dem Einfluss einer mystischen Welt auf die der Menschen befassen.
Seelenfänger hatte ganz am Anfang auch noch ein eigenes Regelsystem. Allerdings bemerkte ich bei der Umsetzung meiner Ideen bald, dass diese sehr nah an der Philosophie von Fate waren und dann war der Schritt, daraus gleich ein Fate-Setting zu machen naheliegend.
Andreas (ZWO): Hast du das Projekt ganz alleine umgesetzt und wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Redaktion Phantastik?
Jörg: Als ich erst einmal angefangen hatte, meine Ideen aufzuschreiben und bald auch mit meiner Pen&Paper-Runde in meiner Spielwelt Abenteuer zu spielen, wuchs das ganze recht bald zu einem größeren Projekt. Ich hatte die fixe Idee, das Ganze irgendwie zu veröffentlichen. Das tat ich dann zunächst in Eigenregie in Kleinstauflage auf eigene Kosten – damals noch mit meinem eigenen Spielsystem als Regel-Engine – und tingelte mit eigenem Stand über die Rollenspielcons. Dann festigte sich die Idee, das ganze als Fate-Setting umzusetzen. Dafür suchte ich mir die Hilfe von fähigen Co-Autoren. André Pönitz setzte vor allem die Regeln um. Dirk Walbrühl und Florian Wehner ließen ihre Ideen mit in die Settingbeschreibung fließen. Gemeinsam schrieben wir den ersten Settingband des Rollenspiels, Seelenfänger: Täuscherland. Mit dem in der Szene etablierten und erfolgreichen Fate-Regelkern als Basis und einem qualitativ hochwertig ausgearbeiteten Hintergrund – so dachte ich – war es sicherlich einfacher, Verlage auf eine etwaige Zusammenarbeit anzusprechen. Und so war es dann auch tatsächlich. Am Ende wählte ich mir aus gleich mehreren Angeboten die Redaktion Phantastik als Lizenznehmer und Verlag aus.
Andreas (ZWO): Um einen Eindruck von Seelenfänger zu bekommen: Stell uns das Setting des Spiels doch einmal vor!
Jörg: Das geeinte Reich ist gefallen. Ein Fluch brachte den Untergang und machte es zu dem, was es heute ist – einem Kerker. Ein magischer Nebel, erfüllt von unheiligem Eigenleben, umschließt das Täuscherland und lässt die Barrieren zur Anderswelt brüchig werden. Rastlose Seelen suchen das Land heim, dunkle Sagengestalten und monströse Schrecken machen Jagd auf die Menschen.
Auch der Täuscher, Verräter und Fluchbringer, verbirgt sich noch immer in den Schatten. Er ist ein Seelenfänger, geboren mit der Gabe, die Seelen der Toten zu beherrschen. Seine Kräfte lassen selbst die rigide kontrollierten Magierorden und die Priester der Sieben mal Sieben machtlos erscheinen. Glücklicherweise ist er nicht der einzige, der mit den Toten spricht. Und obwohl sich die Fraktionen der Seelenfänger oftmals uneins sind, könnten sie bald zum einzigen Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit werden.
Andreas (ZWO): Und was für Geschichten kann man im Täuscherland erleben, die man nur mit Seelenfänger erleben kann?
Jörg: Seelenfänger ist ein Dark-Fantasy-Rollenspiel in einer düsteren, archaischen Welt. Die Spieler*innen schlüpfen in die Rolle von reisenden Seelenfänger*innen und ihren Begleitern. Die tragische Vergangenheit einer rastlosen Seele, der verzweifelte Kampf gegen die Schergen des Täuschers oder ein moralisches Dilemma im Angesicht verbotener Magie – das sind Geschichten in der Welt der Seelenfänger. Unsere Abenteuer stellen die Spielfiguren gerne vor die Aufgabe sich zwischen zwei oder mehreren Übeln zu entscheiden: Rette ich diese Menschen, indem ich verbotene Magie einsetze? Verteidige ich meine Schutzbefohlenen gegen die Gefahren der Anderswelt und setze mich womöglich selbst der Rache dunkler Feenwesen aus? Was muss ich auf mich nehmen und welche Opfer muss ich bringen, um eine rachsüchtige Seele unschädlich zu machen oder zu retten? Und es geht neben übernatürlichen Gefahren auch immer um Menschlichkeit oder den Verlust eben dieser und um menschliche Abgründe. Drama, baby!
Andreas (ZWO): Als System nutzt ihr Fate, dass Dominik hier kürzlich vorgestellt hat. Wie kamt ihr zu Fate und was für Anpassungen habt ihr vorgenommen, um das Spielgefühl von Seelenfänger einzufangen?
Jörg: Das Universalsystem Fate Core bietet eine große Flexibilität. Man kann es sehr leicht an die eigenen Bedürfnisse anpassen, ohne dass das System “kaputt geht”. Außerdem spielst du bei Fate immer fähige Charaktere, die in dem was sie tun wirklich gut sind – das ermöglicht den Charakteren in passenden Situationen zu glänzen. Es ist dafür gemacht, dramatische Geschichten zu erzählen. Das alles war mir wichtig für Seelenfänger.
Wir haben Regelergänzungen für unser Magiesystem, für göttliche Mirakel und natürlich den Seelenfang umgesetzt. Das Buch enthält viele neue Stunts sowie jede Menge Beispielaspekte für jede Art von Situation, Ort, Szene, Kampagne oder Charakter. Außerdem geben wir in Täuscherland noch ein paar Tipps wie man Grusel, Horror und Dark-Fantasy am besten mit Fate spielen kann.
Andreas (ZWO): Mittlerweile gibt es eine beachtliche Reihe an Produkten für das Spiel. Lotse uns doch einmal durch die wichtigsten oder deines Erachtens spannendsten Produkte. Womit fange ich an und was sollte ich mir anschauen, wenn ich meine Seele langsam an das Spiel verloren habe?
Jörg: Du startest am besten mit Täuscherland - Krieg der Seelenfänger. Dieses Hörspiel erzählt die Vorgeschichte der Spielwelt und verdeutlicht gut, was Seelenfänger eigentlich sind. Es wurde von meinem guten Freund und Lektor von Täuscherland Marco Ansing geschrieben und umgesetzt und auf hoerspielprojekt.de kostenlos veröffentlicht.
Danach legst du am besten IMMORTALIS auf. Die großartige Hamburger Band Erdenstern hat unseren Soundtrack eigens für Seelenfänger komponiert und umgesetzt. Der Longplayer sorgt akustisch für den perfekten Hintergrund beim Spiel, wenn man mit Musik spielen mag – oder hilft in die richtige Stimmung zum Spielen zu kommen.
Zum Einstimmen auf das Spiel empfehle ich auch unsere Kurzgeschichten-Anthologie Geisterland – Geschichte aus der Welt der Seelenfänger. Das Buch ist im Verlag Torsten Low erschienen und hier sind neben 13 Kurzgeschichten auch einige durch diese inspirierte Kurzabenteuer enthalten.
Sehr cool ist auch unsere Seelenfänger-Android-App, die mein Kumpel Christopher Schewe programmiert hat. Mit dieser kannst du deine Charaktere, Spielorte, Aspekte und Stunts verwalten, sowie würfeln. Und du erhältst Basis-Informationen zu Orten in der Spielwelt. Denn die App beinhaltet vor allem auch noch einmal die Landkarte zur Spielwelt.
Unser Settingband Seelenfänger: Täuscherland – der Kern des Spiels – schließlich enthält alle Infos zur Spielwelt und alle Fate-Regelergänzungen. Zusammen mit dem kostenlosen Fate Core Grundregelwerk hast du alles bei der Hand, was du für den perfekten Start brauchst.
Wenn du dich schon ein wenig in die Spielwelt eingelesen hast, kannst du mit Fate leicht eigene Abenteuer umsetzen. Oder du holst dir den Abenteuerband Ein Licht im Nebel u.a. mit einem Abenteuer von Günther Lietz, oder den Band Am Rande der Verdammnis mit u.a. dem namensgebenden Abenteuer von Oliver Kersting, welcher vor kurzem erst erschienen ist. Settingband und Abenteuerbände beinhalten auch immer passende Beispielcharaktere, sodass man ohne große Vorbereitung starten kann.
Zum schnell mal reinschnuppern kann ich das Starter-Szenario Frühnebel empfehlen. Das ist so aufgebaut, dass du es für ein kurzes Abenteuer verwenden oder durch viele Abenteueraufhänger auch als Start in eine Kampagne nutzen kannst.
An dieser Stelle sei mir bitte eine Erinnerung an den großartigen Marc Exner erlaubt. Marc zeichnete mit viel Liebe fürs Detail seinerzeit die Karte des Täuscherlandes. Leider verstarb Marc vor kurzem nach langer schwerer Krankheit. Marc, wenn du das mitbekommst – wo immer du jetzt bist – wir denken an dich!
Andreas (ZWO): Wie stelle ich mir den Entwicklungsprozess eines solchen Spiels vor?
Jörg: Am Anfang stand die Idee zum Setting. Meine erste Spielversion mit eigenem Regelwerk war noch viel kleiner, als der erste Settingband Täuscherland später. Gemeinsam mit meinen Co-Autor*innen habe ich die Welt genauer ausgearbeitet und um ein vielfaches erweitert. Die Fate-Mechanismen mit ihren Besonderheiten wie Aspekten haben wir eng mit dem Setting verzahnt. Das ganze Spiel wurde vielfach auf den Prüfstand gestellt und mit Hilfe unzähliger Testrunden und Testspieler*innen auf Herz und Nieren geprüft und verfeinert. Wir haben uns auch online in einschlägigen Rollenspielforen Feedback eingeholt. Ein Haufen Testleser*innen hat uns geholfen, ein ausgereiftes Skript abzuliefern. Der Rohtext ging dann an den Verlag und ins Lektorat. Dann wurden erste Illustrationen in Auftrag gegeben. Das Projekt sollte mittels Crowdfunding realisiert werden und die Kampagne lief dann auch sehr erfolgreich. Der Erfolg ermöglichte es uns, zahlreiche großartige Illustrationen produzieren zu lassen. Das Ergebnis war Seelenfänger: Täuscherland. Zusammen mit diesem ersten Settingband konnten wir ein großes Paket mit Zusatzmaterial finanzieren, bestehend aus Soundtrack IMMORTALIS, Starterszenario Frühnebel, Abenteuerband Licht im Nebel, Anthologie Geisterland, eigenen Fate-Würfeln, Charakterbogenblöcken, Sonderedition des Hörspiels Täuscherland: Krieg der Seelenfänger und kleineren Add-Ons.
Die ganze Arbeit, die wir in das Projekt gesteckt haben, wurde im Rahmen des NordCon 2019 zusätzlich belohnt – Seelenfänger: Täuscherland wurde mit dem Deutschen Rollenspielpreis ausgezeichnet, worüber wir uns immer noch wahnsinnig freuen. Das Spiel kommt also super an – wir haben wohl ein paar Sachen richtig gemacht.
Andreas (ZWO): Seelenfänger hat mittlerweile seine feste Heimat in der Redaktion Phantastik. Was können wir denn in naher Zukunft von Seelenfänger erwarten? Wie geht es mit der Reihe weiter?
Jörg: Ich hätte mir eine höhere Schlagzahl zur Veröffentlichung der weiteren Produkte gewünscht. Aber leider hat Corona, wie so vielen anderen auch, unsere Pläne etwas gestört. Seelenfänger soll am Ende aus drei Settingbänden mit multimedialer Unterstützung bestehen. Letztere haben wir meiner Meinung nach mit Android-App, Kurzgeschichten-Anthologie, Soundtrack und Hörspiel schon ganz gut erreicht. Nach Täuscherland erscheint voraussichtlich 2022 der zweite Settingband Feenland, welcher die Anderswelt, Heimat der dunklen Feenwesen dieser Welt, beleuchtet und dem Spiel weitere große Abenteuermöglichkeiten hinzufügt. Der dritte und vorerst letzte Settingband wird Dämonenland heißen. Begleitend zu Feenland soll eine weitere Kurzgeschichten-Anthologie namens Feenpakte im Verlag Torsten Low erscheinen. Außerdem arbeiten wir laufend an weiteren Abenteuern und Abenteuerbänden. Am nächsten Abenteuerband arbeiten die deutsche Rolenspiellegende Ralf Sandfuchs, sowie Dirk Walbrühl und Oliver Kersting.
Andreas (ZWO): Danke für das schöne Interview. Ich wünsche dir und unseren Leser*innen viel Spaß beim Seelenfangen.
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