Das Pen&Paper-Rollenspiel Call of Cthulhu von Chaosium begeistert Horrorfans schon seit 1981. Noch länger begeistern H. P. Lovecrafts zusammenhängende Kurzgeschichten um den Cthulhu-Mythos, die im frühen 20. Jahrhundert eine neue Epoche der Horrorliteratur einleiteten, und bis heute, auch lange nach dem Tod des Autors, zahlreiche von ihm inspirierte Kunstwerke, Spiele, Filme und literarische Spin-Offs hervorbringen. Die aktuellste Videospielumsetzung mit dem Titel Call of Cthulhu ist bereits der vierte Software-Ableger, der diesen Namen trägt. Auf die eigentliche namensgebende Kurzgeschichte hatten die Vorgänger aber stets wenig Bezug, sondern vereinten bekannte Elemente verschiedener Lovecraft-Kurzgeschichten miteinander.
Auch das neue Call of Cthulhu, das zum ersten Mal keinen ergänzenden Untertitel erhalten hat, spiegelt nicht akribisch die Ereignisse der Vorlage wieder. Allerdings könnten die Schlüsselmomente des Spiels je nach erspieltem Ende durchaus zu den fiktiven Augenzeugenberichten der Buchvorlage geführt haben.
Dem Mythos auf der Spur
Das Jahr 1924: Als gescheiterter Detektiv Edward Pierce werden wir darum gebeten, den mysteriösen Unfall der Familie Hawkins aufzuklären, bei dem die gesamte Familie in einem Feuer ums Leben kam. Obwohl die Polizei den Fall längst zu den Akten gelegt hat, bleiben bestimmte Dinge im Dunklen. Als einziger Hinweis bleibt Pierce ein mysteriöses Gemälde und der letzte Aufenthaltsort der Familie: Das Hawkins-Anwesen auf der Walfängerinsel Darkwater.
Pierce macht sich auf den Weg nach Darkwater und stellt fest, dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Doch damit nicht genug, denn Pierce ist nicht nur Beobachter, sondern auch unfreiwillige Schachfigur eines weitaus größeren Ereignisses, welches das Ende der Menschheit bedeuten könnte.
Obwohl der Cthulhu-Mythos dem Horror-Genre zuzuordnen ist, fokussiert sich der Grusel des Spielers allerdings eher auf die angespannte Atmosphäre der Erzählung. Tatsächlich ist Call of Cthulhu eigentlich eine Detektivspiel, in dem wir Tatorte rekonstruieren und kombinieren. Die Fähigkeiten des Spielers basieren auf dem Fähigkeitensystem der Pen&Paper-Vorlage und teilen sich in die Unterkategorien Stärke, Entdeckung, Redegewandtheit, Ermittlung, Psychologie, Medizinikunde und Okkultismus ein. Durch das Vorankommen der Erzählungen erlangen wir Punkte, die wir in die ersten vier Fähigkeiten investieren können. Für Medizinkunde und Okkultismus benötigen wir versteckte Folianten, die beispielsweise durch einen hohen Entdeckungswert gefunden werden können. Durch Stärke können wir teilweise Rätsel durch rohe Gewalt umgehen, während wir mit Redegewandtheit mehr Informationen aus unseren Gesprächspartnern herauskitzeln können. Die anderen Fähigkeiten geben uns mehr Informationen aus den Rekonstruktionen der Tatorte und lassen uns versteckte Hinweise finden.
Viele Wege, aber nur wenige Ziele
Dabei ist es, anders als in den Sherlock Holmes-Abenteuern, nicht möglich, falsche Schlüsse zu ziehen. Die Fähigkeiten geben uns lediglich Vorteile und schalten neue alternative Antwortmöglichkeiten frei, die uns letztlich aber so oder so zum nächsten Kapitel führen, wo sich die Entscheidungen der vorangegangenen Kapitel in bestimmten Details widerspiegeln. So kann sich ein Spieldurchlauf zwar in vielen Punkten vom vorherigen unterscheiden, doch trotz der vielen Lösungswege gibt es lediglich vier verschiedene Enden.
Die Auswahl zwischen mehreren Lösungswegen finden wir hauptsächlich in der ersten Hälfte des Spiels. So lässt sich der Zugang zum versperrten Lagerhaus der Hawkins-Familie entweder durch gutes handwerkliches Geschick selbst lösen oder man kommt durch überzeugende Argumente mit anderen Charakteren ins Gespräch, die uns auf unserem Weg unterstützen. Die Schleichmechanismen sind, im Gegensatz zu Cyanides anderem Schleicher Styx, eher rudimentär und werden darüber hinaus auch selten gefordert. Der Weg der Gewalt ist nur selten eine Option. Im späteren Verlauf können wir einmalig kurzzeitigen Gebrauch von einer Schusswaffe machen. Obwohl sich in den Optionen ein Zielkreuz zuschalten lässt, ist es völlig egal, ob man meilenweit daneben schießt. Die Kugeln treffen das nächste Ziel automatisch und sind zudem unbegrenzt. Dadurch verliert Call of Cthulhu leider einen großen Teil seines Horrors, ja sogar seiner Seriösität. In einer anderen Szene gelangt man nur durch Trial and Error zum gewünschten Erfolg. Obwohl wir uns in Schränken verstecken können, ist es schlichtweg zeitsparender, einfach davon zu laufen und im Falle einer tödlichen Sackgasse schlichtweg neu zu laden. Die Rücksetzpunkte sind fair verteilt und frustrieren nicht. Längere Ladezeiten gibt es nur beim ersten Laden eines neuen Levels.
Fatales Wissen
Edward Pierce wäre kein typischer Lovecraft-Charakter, stünde er nicht selbst knietief in den Verstrickungen. Was haben diese seltsamen Alpträume zu bedeuten, was hat es mit diesen Kultisten auf sich, warum verhalten sich die Bewohner von Darkwater uns gegenüber so seltsam und abweisend? Im Laufe unserer Ermittlungen finden wir Informationen, die wir nicht lesen müssen, aber natürlich können, um auch der Geschichte zu folgen. So schalten wir z. B. neue Informationen über okkultes Wissen frei. Doch dafür bezahlen wir nach und nach zunehmend und dauerhaft mit unserem Verstand. Angstattacken, Halluzinationen und letztlich der Verlust der Kontrolle über unsere Entscheidungen sind nur die Symptome eines zunehmend desolateren Verstandes, dessen fortschreitenden Verfall wir sogar im Menü betrachten können. Das Spiel überrascht uns gerade in den Situationen, in denen wir menschlich handeln wollen, doch mit Unmenschlichem konfrontiert werden. Zeitweise wechseln wir in einigen Kapiteln die Perspektive und übernehmen andere Charaktere, die Zugang zu sonst verschlossenen Bereichen und Infos haben. Diese Perspektivwechsel sorgen aber auch für eine bessere Identifikation mit den unterschiedlichen Protagonisten, die sonst ein wenig blass wären.
Das Design der Figuren erinnert teilweise an Dishonored und wirkt in seiner überzogenen Charaktergestaltung absichtlich grotesk. Der zum Ende hin sehr präsente Grünstich lässt das Spiel manchmal sehr monochrom wirken. Die englische Sprachausgabe ist überzeugend, auch wenn sich Edward Pierce manchmal zu schnell an die grotesken Situationen zu gewöhnen scheint. Der Bildschirmtext und die Untertitel sind auf Deutsch.
Fazit:
Call of Cthulhu ist ein Spiel zu den Büchern, auf Basis des Pen&Paper-Rollenspiels. Der starke Fokus auf die Erzählung nimmt dem Spiel einen großen Teil des Horrors. Spannend bleibt es dennoch. Die Interaktionsmöglichkeiten sind weniger tiefgreifend als in einem vollwertigen Rollenspiel. So ist das Spiel linearer als es sein könnte. Einzelne Passagen, wie die Schleichabschnitte und das kurze Feuergefecht, besitzen eine zu rudimentäre Spielmechanik, um genrebestimmend hervorzustechen. Die Rätsel sind nicht zu leicht, aber auch nicht zu schwer und lassen sich teilweise sogar umgehen. Die große Stärke des Spiels liegt daher in der Erzählung selbst und dem Aufdecken von Informationen. In diesen Momenten, in denen wir als Detektiv arbeiten, bekommt man das gleiche Gänsehautgefühl wie beim Lesen der Bücher und man will wissen, wie es weiter geht. Ist man hingegen Lovecraft-Neuling und kennt den Mythos nicht, ist das Spiel eher durchschnittlich und offenbart viele Fragezeichen. Letztlich ist das Spiel zur gleichnamigen Kurzgeschichte Call of Cthulhu auch nur ein kleines Puzzleteil im großen Gemälde des bekannten Autors und fügt sich als solches hervorragend in den Kosmos ein.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
Zauberwelten-Online.de