Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Lieber Fufu, zuerst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit für ein kleines Interview nimmst. Du bist als Illustrator und Kulissendesigner schon lange in der Phantastik-Szene aktiv. Bevor wir an dein Werk gehen: Stell dich doch einmal kurz vor. Wer bist Du und wo kommt deine Begeisterung für Phantastik her?
Fufu Frauenwahl: Hallo Andreas! Ich bin Jahrgang 1974, halber US-Amerikaner und lebe hauptsächlich in Berlin.
Das Faible für's Phantastische habe ich eigentlich schon so lang ich denken kann, das fing an mit Comics und Filmen, später kamen dann Rollen- und Computerspiele dazu. Ich war da vermutlich nicht so viel anders als andere nerdige 80s-Kids.
Durch das Cthulhu-Rollenspiel bin ich dann auf Lovecraft gestoßen und über ihn auf die rosa Phantastik-Reihe im Suhrkamp-Verlag, von der ich dann als Teenager einen Großteil gelesen haben muss.
Mein Medienkonsum ist immer noch recht eklektisch, aber damals wie heute finde ich die Phantastik im engeren Sinn am interessantesten, also das Genre, bei dem es mehr um eine Infrage-Stellung der Realität geht, als der Kreation einer alternativen. Aber es kommt immer ganz auf das konkrete Werk an – ich illustriere auch immer gerne Projekte aus anderer Genres.
Das Fantasy-Spielbuch Reiter der Schwarzen Sonne bekam einige neue Illustrationen.
Andreas (ZW): Illustrator*innen haben oft das traurige Schicksal, etwas im Hintergrund zu bleiben. Du bist mir das erste Mal aufgefallen, als du zusammen mit Swen Harder ein ambitioniertes Spielbuchprojekt umgesetzt hast. Was konntest du sonst in der Phantastikszene illustrieren? Woher könnten wir dich kennen?
Fufu: Ich bin als Illustrator schon seit fast 20 Jahren aktiv. Besonders im Rollenspielbereich habe ich mehr Publikationen bebildert, als ich zählen kann. Das reicht von relativ obskuren Indierollenspielen wie Victoriana (UK) oder Tigres Volants (F) bis zu bekannten Spielen wie Midgard, DSA, Splittermond oder Call of Cthulhu. Auch Spielbücher hab ich etliche illustriert, neben den beiden für Swen Harder auch mehrere im Pegasus-Verlag zum Hexer von Salem und zu den Werken von Markus Heitz.
Ansonsten habe ich an vielen Bühnenproduktionen mitgewirkt, z. B. an Adaptionen von Das Bildnis des Dorian Gray, Die Hexen von Eastwick oder Fahrenheit 451, oder auch Jörg Buttgereits Zombie-Inszenierung Die Lebenden Toten. Meistens habe ich für die Stücke projizierte Bilder oder auch Animationen gestaltet, welche dann das Bühnenbild ergänzten. Und apropos Animation: vor einigen Jahren habe ich auch mal ein Musikvideo für "Die Ärzte" gemacht. Eine Zeitlang hat es mich auch in die Computerspiele-Industrie verschlagen, da durfte ich Content zu Unreal Tournament 3, Saint's Row, Overlord u. a. beitragen.
Andreas (ZW): Wie schon erwähnt fielst du mir zuerst mit der Arbeit an den Spielbüchern Reiter der schwarzen Sonne und Metal Heroes auf. Wie war denn die Zusammenarbeit mit Swen und was waren die großen Herausforderungen und Besonderheiten des Genres
Fufu: Die Kollaboration mit Swen empfand ich von Anfang an als sehr angenehm. Die Bücher, die wir zusammen gemacht haben, sind auf ihre Art beide einzigartig, insofern bin ich sehr froh, an ihnen mitgewirkt zu haben. Und bei beiden war unsere Zusammenarbeit auch recht verschieden. Beim Reiter musste alles sehr schnell gehen und ich habe alle Illustrationen für die erste Edition in nur ca. einem Monat durchgepowert, ohne wirklich viel drüber zu wissen. Im Gegensatz dazu waren die Heroes ein langer, organischer Austausch, der sich über ein Jahr hinzog. Natürlich kommen die meisten Ideen von Swen, aber ich konnte auch immer wieder Mal den einen oder anderen Einfall beitragen, zum Beispiel, dass die Illus bei Metal Heroes die Form von Comicseiten haben. Bei den Rätseln mussten wir uns immer besonders genau absprechen und auch manchmal etwas herumprobieren, bis sie wie geplant funktionierten. Beide Bücher sind ja mittlerweile in mehrere Auflagen erschienen und wir haben sie immer wieder verfeinert und auch neue Illustrationen hinzugefügt. Der Reiter ist jetzt wohl in seiner finalen Fassung angelangt, aber zu der englischen Ausgabe der Heroes, welche wir kürzlich erfolgreich gekickstartet haben, werde ich nochmal einige neue Illus nachproduzieren.
Für das Spielbuch Metal Heroes setzt Fufu auf Comicpanels
Andreas (ZW): Dein Stil ist äußerst prägnant. Wer einmal den Fufu’schen Pinsel- oder Tuschestrich verinnerlicht hat, dürfte deine Werke schnell wiedererkennen. Dabei ist eine starke Affinität zum Comic nicht zu verkennen. Und tatsächlich bist du in der Comicszene umtriebig. Jüngst sind Unwelt #2 und ein Captain-Berlin-Band von dir erschienen. Was ist dein Verhältnis zur Comicszene?
Fufu: Von den erzählerischen Medien sind Comics für mich persönlich das interessanteste. Klar mag ich auch Literatur, Film und Spiele aber dieser "Co-Mix" von Wort und Bild, bei dem ich als Zeichner alle Aspekte kontrollieren kann und man auch als Leser*in mehr Autonomie hat als beispielsweise beim Film, bietet mir den größten ästhetischen Genuss. Die Leute wollen immer von allem Filmadaptionen sehen, als ginge es nur um den narrativen Inhalt, den Plot, den man einfach von einem Medium in ein anderes gießen kann. Dabei besitzt jedes Medium ja auch seine eigene Sprache und Stilmittel. Als Ende der 90er die große Welle der Comicadaptionen losging, waren viele in der Szene optimistisch und fühlten das Medium nach langem Nischendasein endlich gebührend beachtet. Ich ahnte da schon, dass es eher zu einer graduellen Abwanderung originären Comic-Franchises zu anderen Medien führen würde als zu einer neuen Blüte der Mainstream-Comics. Das hat sich weitgehend bewahrheitet. Aber auf der anderen Seite gibt es jetzt einen sehr diversen Markt von Graphic Novels, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder, und das ist auf jeden Fall positiv.
Andreas (ZW): Unwelt erzählt einige Geschichten des jungen Privatdetektivs Ray Murphy und seines Gefährten Molluskhead. Die beiden entdecken eine von kindlicher Phantasie und Lovecraft’schen Monstern besiedelte Welt. Was ist Unwelt für dich? Und: Darf ich in Ray autobiographische Züge erkennen?
Fufu: Ich bezeichne Ray Murphys Fälle immer als "halbautobiographisch", denn es handelt sich dabei größtenteils um adaptierte Träume, welche logischerweise mit meinem realen Leben zusammenhängen. Ich wähle sie aber aus und modifiziere sie nach bestimmten Kriterien, z. B. dass sie für mich interessante philosophische oder politische Fragen beleuchten oder dass sie Murphys Universum sinnvoll ergänzen. Ich produziere diese Kurzgeschichten schon seit vielen Jahren aber in Unwelt erscheinen sie zum ersten Mal in gesammelter Form. So ähnlich wie schon oben beim Genre gesagt, sind auch pure Traumcomics für mich weniger spannend, als wenn sich das Unterbewusstsein an der realen Welt reibt, und Autobiografisches sollte auch eine allgemeine Relevanz haben. Die einzelnen Miniaturen sind konstruiert wie kleine Rätsel, bei welchen der Leser eigentlich mehr selbst zum Detektiv werden muss, als sich auf die Expertise des Protagonisten zu verlassen. Und zwischen den Stories gibt es dann zusätzliche Bedeutungsfäden die zusammen ein größeres Bild ergeben. Das Ganze ist weniger "geschrieben" als "entstanden". Es ist ein sehr persönliches Experiment und vermutlich nicht wirklich ansprechend für ein Mainstreampublikum. Aber mir bedeutet das Projekt viel und einen kleinen Kreis von Leser scheint es anzusprechen.
Unwelt versammelt Traumgeschichten von Fufu
Andreas (ZW): Lovecraft spielt eine starke Rolle für dich. Du durftest sogar auf dem HPL-Filmfestival ausstellen und diskutierst gelegentlich sein Werk und Wirken. Was bedeutet Lovecraft für dich? Was macht die Stärke seines kosmischen Horrors aus?
Fufu: Wie für viele andere auch ist mir Lovecraft eine wichtige literarische Inspirationsquelle, gerade weil bei ihm immer unverhohlen eine philosophische Idee im Zentrum seiner Stories steht. In dieser Hinsicht vergleiche ich ihn gern mit Kafka, der wie Lovecraft darauf abziehlt, die existenzielle Verlorenheit des modernen Individuums angesichts einer indifferenten und unbegreiflichen Umwelt erfahrbar zu machen. Bei Kafka ist das das gesellschaftliche System und bei Lovecraft der ganze Kosmos. Es gibt zwischen ihnen noch weitere interessante Parallelen; ich habe dazu letztes Jahr auf dem CthulhuCon in Portland eine Podiumsdiskussion geleitet. Zum Beispiel spielten für beide Träume bei der Entwicklung ihrer Stoffe eine wichtige Rolle. Hier besteht auch eine Verbindung zu meiner Unwelt. "Kafcraftian" wäre vielleicht eine gute Genrebeschreibung dafür.
Aber gerade bei Autoren, die so stark auf eine konkrete Weltanschauung hinarbeiten, ist es natürlich umso peinlicher, wenn sich zu jenen interessanten Ideen reaktionäre Haltungen wie Rassismus und Sexismus gesellen. Da gibt es bei Lovecraft leider so einiges, was ja vor allem in den letzten Jahren stark hervorgehoben und kritisiert wurde. Und das durchaus zurecht. Mich haben diese Seiten an Lovecraft immer abgestoßen, aber ich kann damit leben, dass künstlerische Vorbilder nicht notwendigerweise auch strahlende, moralisch einwandfreie Helden sind.
Andreas (ZW): Captain Berlin ist hingegen deutlicher an Superheld*innengeschichten angelehnt und lässt statt subtilen Horror viel Humor und politische Anspielungen erkennen. Kannst du uns etwas zur Reihe sagen? Wie kam es zu dem Projekt? Seit wann bist du dabei?
Fufu: Captain Berlin stammt aus der Feder von Jörg Buttgereit und auch der Weissblech-Herausgeber Levin Kurio plottet mit; ich habe in der Regel nur wenig Einfluss auf die Handlung der von mir gezeichneten Hefte. Die Comicfigur geht zurück auf einen Kurzfilm, den Jörg in den 80ern mit Bela B. gedreht hat. Später machte er dann ein Theaterstück und ein Hörspiel mit dem Charakter. Erst seit ein paar Jahren ist Captain Berlin quasi medial heimgekehrt und es gibt endlich auch eine Comicserie. Es ist vor allem eine Superheldenpastiche mit vielen Genre-Hommagen, aber kombiniert mit vielen Bezügen auf die deutsche – und vor allem Berliner – Geschichte. Ich habe bisher zwei Hefte plus eine Kurzgeschichte gezeichnet, zuletzt Heft #10: Captain Berlin gegen Space-Hitler.
Im originellen Captain Berlin geht es gerne auch mal politischer zu.
Andreas (ZW): Bei Captain Berlin von politischen Anspielungen zu sprechen ist ja eher eine Untertreibung. In deinem Heft wird Space-Hitler verdroschen und Kim Jong Un und Honecker haben Gastauftritte. Man darf dich sicher als einen politischen Menschen verstehen. Welche Rolle hat Kunst für dich im Politischen?
Fufu: Naja, ich würde sagen Captain Berlin ist vordergründig ein trashiger Spaß, die eigentlichen "Botschaften" darin sind, wenn, dann eher subtil. Dass autoritäre Diktatoren zu verdammen und entsprechende Denkweisen zu bekämpfen sind, sollte ja eigentlich der gesunde Menschenverstand gebieten. Es gehört zu den beunruhigenden Aspekten unserer Zeit, dass das anscheinend nicht (mehr?) selbstverständlich ist.
Ich persönlich bin politisch ziemlich links eingestellt; das ist für mich gleichbedeutend mit egalitär, insofern wäre die Ablehnung von Autokraten eine Minimalforderung. Daher sehe ich in Captain Berlin eigentlich gar nicht so sehr einen politischen Comic, sondern hauptsächlich ein Spiel mit (u. a. politischen) Klischees in der Popkultur. Ich denke aber auch nicht, dass alle Kunst explizit politisch sein muss.
Andreas (ZW): Du hast die amerikanische Staatsbürgerschaft und verbringst einen Teil deines Jahres in den Staaten, genauer in Portland. Portland gilt als liberales Eldorado und ist in den letzten Monaten durch die andauernden BLM, also Black-Lives-Matter-Proteste, und beständigen Angriffe der Trump-Administration immer wieder in den Medien. Wie reagiert die Künstler*innencommunity in Portland auf diese Situation? Was bedeutet Trump für die Finanzierung der Kunstszene?
Fufu: Ja, auf Grund des Berufs meiner Partnerin (sie arbeitet beim Film) sind wir in regelmäßigen Abständen drüben. Nachdem Trump gewählt wurde, bemerkte man in Portland deutlich eine allgemeine Schockstarre, und jetzt während Corona und der BLM-Proteste war die Stimmung besonders angespannt. Ich kenne dort eigentlich niemand, der Trump gewählt hat. Aber in den ländlicheren Regionen Oregons gibt es dafür umso mehr. Das spiegelt nur die generelle Aufspaltung der Gesellschaft wieder, die man ein Stück weit auch hier spürt. Mittlerweile ist das Ende Trumps ja (hoffentlich) nicht wehr weit weg, aber viele der Probleme Amerikas werden weiter bestehen. Trotz identitätspolitischer Signale bin ich nicht überzeugt, dass eine Biden-Regierung an den auch vor Trump schon existierenden, systemischen Ungerechtigkeiten viel ändern kann bzw. will.
Fufus Stil ist abwechslungsreich. Für ein Postkartenprojekt über Zentauren wurde es beispielsweise etwas bunter aber durchaus lovecraftesque.
Andreas (ZW): Kommen wir zum Abschluss von der schweren Politik zu etwas hoffentlich erfreulicherem: Wie sehen deine Zukunftspläne aus? Was für Publikationen stehen in den Startlöchern? Sind gerade noch weitere Spielbuch- oder Rollenspielprodukte mit deiner Beteiligung geplant, auf die wir uns freuen dürfen?
Fufu: Ja, wie eigentlich immer habe ich etliche Projekte in der Pipeline. Für Captain Berlin ist als nächstes eine längere Story (vermutlich eine Doppelnummer) geplant, bei der diesmal auch ein paar Plotideen von mir sind. Außerdem mache ich gerade wieder Illustrationen für ein Indierollenspiel, und etwas später im neuen Jahr kommt dann die englische Version von Metal Heroes, für die ich wie erwähnt neue Bilder zeichnen werde. Last but not least möchte ich bis spätestens Ende 2021 das dritte Unwelt raus haben. Projekte gehen mir bestimmt so schnell nicht aus.
Andreas (ZW): Das klingt spannend. Vielen Dank für das Interview!