Anahita – Wer nicht ihrer Göttin dient, den wird das Meer zu sich nehmen.
Die vergessene Wasserwelt, deren Bewohnende in tiefer Verbindung mit einer Göttin leben, gerät in den Fokus von Britannien, das über die Erde und viele weitere Kolonien auf Planeten im Universum herrscht.
Diese nun wiederentdeckte Welt, deren Einzigartigkeit durch ihre transdimensionalen Ressourcen geprägt ist, schürt den Drang der Krone, den Planeten zu kolonialisieren, den Glauben dieser Menschen zu brechen und durch die eigene Doktrin des mysteriösen Uhrmachers zu ersetzen. Doch ein solcher Übergriff stößt auf heftigen Widerstand, sowohl von der Natur als auch von den Menschen, deren Identität eng mit der spirituellen Weisheit der Göttin wie auch der Priesterinnen verwoben ist.
Im Zentrum der Erzählung stehen Christine Langley und Aven, später Ava. Christine, als Tochter eines Diplomaten mit den strengen Ritualen und Machtspielen des Kaiserhofs vertraut, und begleitet ihren Vater auf der Mission der Krone, den Planeten zu kolonialisieren. Sie findet in dieser sich so von der Erde unterscheidenden Welt Akzeptanz und Freundschaft bei Aven, einem jungen Mann, der seine Berufung im Dienst der Göttin sieht. Als Mann ist ihm jedoch der Zugang zur Göttin verwehrt, nur Frauen können Priesterin werden, doch dies hält Aven nicht davon ab, dem eigenen Weg zu folgen.
Aven lebt im Schatten der Tempelmauern, strebt danach, mehr von zu verstehen und sein Leben der Göttin zu widmen. Seine Transformation zu Ava markiert nicht nur eine persönliche Wandlung, sondern auch einen spirituellen Aufstieg in eine Schlüsselrolle beim Widerstand gegen die Kolonisatoren. Indem sie schließlich die Geschicke der Priesterinnen lenkt, führt Ava die Gemeinschaft in ihrer schicksalshaften Auseinandersetzung mit den imperialen Mächten.
Christine hingegen sieht sich mit einem einschneidenden Ereignis und damit ebenso einem moralischen Konflikt konfrontiert, und begibt sich in die militärische Ausbildung, der sie verbissener und zielgerichteter nachgeht, als jeder andere Rekrut. Ihre Ausbildung und die Realität des Krieges stehen im Widerspruch zu der Faszination und Achtung, die sie für die indigenen Kulturen entwickelt hat. Die Annäherung an Avas Welt hat in ihr Spuren hinterlassen und prägt ihre Laufbahn unter Magnifizenz Nicolas Eymerich, Chefinquisitor und oberster Patriarch der heiligen Kirche, Wächter des Uhrwerks.
Beide Seiten bewegen sich auf einen unausweichlichen Krieg zu, dessen Ausgang nicht nur das Leben von Christine und Ava verändern kann...
Kontraste in einer transplanetaren Welt
In Sven Haupts Anahita entfaltet sich eine faszinierende Kulisse aus SciFi und futuristischem Steampunk, in der das britische Imperium als transplanetare Kolonialmacht agiert. Angetrieben von der spirituellen Suche nach dem mythischen Uhrmacher, verfolgt Britannien einen unerbittlichen Expansionskurs, um dessen Lehren in die entlegensten Winkel des Universums zu tragen. Der Oberste Inquisitor der Kirche erteilt den Befehl zur Annektierung neuer Welten, eine Mission, die auf den magischen Fähigkeiten der Technomagier basiert, die transdimensionale Artefakte – im Wesentlichen die Knochen mächtiger Wesen – für interplanetare Reisen nutzbar machen. Doch diese Ressourcen beginnen zu schwinden, und die transdimensionalen Wale der Wasserwelt, die zehnmal so viel Energie liefern, werden zur begehrten Beute, wodurch das Schicksal des Planeten unausweichlich erscheint.
Während die Strukturen und Motive der Kolonialmacht klar dargestellt werden, werden die Lesenden in die tiefgründige Welt der Göttin hineingesogen, auf deren Planeten sich ein harmonisches Gefüge von Natur und Kultur entfaltet. Ava, die sich einer Transformation zur Frau unterzieht, eröffnet einen intimen Zugang zu dieser Welt. Sie verkörpert die organische Verbundenheit mit der Natur und der spirituellen Dimension der Gemeinschaft. Im scharfen Kontrast dazu steht das von militärischer Strenge und Religiosität geprägte Britannien, dessen Bürger*innen sich hinter Masken verstecken, die ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Gilden symbolisieren. Zwischen diesen Welten stehen sich zwei gesellschaftliche Modelle gegenüber: die bewahrende und das Gleichgewicht suchende Kultur Avas und das machtorientierte, dogmatische System Britanniens, das blind der Krone folgt.
Die vielschichtigen Protagonistinnen Christine und Ava stehen im Mittelpunkt und begegnen dabei sowohl äußeren als auch inneren Konflikten. Sven Haupt gelingt es dadurch, nicht nur durch offensichtliche, sondern auch durch subtil einfließende Elemente den Charakteren Tiefe und Sympathie zu verleihen. Diese komplexe Gestaltung lässt einen beim Lesen stets mit den Figuren mitfiebern und sich inmitten der Erzählung zu verlieren. Neben den Hauptcharakteren brillieren aber auch die übrigen Figuren durch ihre einzigartige Art und Weise und fügen sich nahtlos in den unverwechselbaren Stil des Autors und der Geschichte ein. Der geschickte Einsatz von Humor und komplexer Erzählstruktur sorgt dafür, dass man ein dynamisches und lebendiges Buch in den Händen hält.
Selbst die Fauna und Flora der Wasserwelt tragen über die Maße zur Dynamik der Erzählung bei. Diese natürlichen Elemente sind nicht nur bloß Mittel der Beschreibung einer fremden Welt, sie spielen eine zentrale Rolle in der Geschichte und schaffen einen faszinierenden Gleichklang zwischen humorvollen wie auch tiefgründigen Momenten. Seien es die Kokoskrabben, die unvorsichtige Spaziergänger mit Kokosnüssen bewerfen, die gigantischen Haie als Verteidiger der Meere oder die Quallen, die Erkenntnisse in eine tiefere, reflektierende Dimension ermöglichen. Gerade dieser Gleichklang steht der Kolonialmacht Britanniens im Gegensatz gegenüber. Sie sind beherrscht von Machtstreben, religiösem Fanatismus und einer starken Fokussierung auf Kontrolle und technischen Fortschritt. Die organische, spielerische Interaktion der Flora und Fauna hebt damit die Künstlichkeit und Starrheit der von Menschen errichteten Strukturen und Geisteshaltungen hervor, was die zentralen Konflikte der Erzählung noch deutlicher und wirkungsvoller macht.
Fazit
Sven Haupt hat mit Anahita wieder einmal ein bemerkenswertes Buch geschaffen, das sich geschickt außerhalb gängiger Genregrenzen bewegt. Der Roman besticht sowohl auf der Handlungsebene als auch in den tieferen Schichten der Geschichte. Die starken Protagonist*innen wie auch Nebencharaktere profitieren dabei auch in besonderem Maße von einem sorgfältig entwickelten Worldbuilding. Gerade Christine und Ava navigieren durch innere Konflikte und interagieren mit einer lebendigen Welt, die sowohl von harmonischer Natürlichkeit als auch von rigidem Kolonialstreben geprägt ist. Gerade das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Welten und Mentalitäten ihrer Akteure ist wunderbar in die Geschichte eingewoben.
Anahita bietet ein Leseerlebnis, das über die üblichen Pfade gekonnt hinausgeht, ist eine vielschichtige Erzählung, die sowohl inhaltlich als auch stilistisch überzeugt und begeistert. Die Einbindung von Themen wie Macht und Widerstand wie auch Identität und Freiheit sorgt für eine tiefere Auseinandersetzung, die zum Nachdenken anregen möchte, während Sven Haupts eingeflochtener Humor die Szenerie auflockert. Nach dem nunmehr vierten Buch, das ich vom Autor gelesen habe, kann ich sagen: Mit einem Buch von Sven Haupt greift man nie daneben.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen bei: Zauberwelten-Online.de
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